Worum geht es?
Schlagwörter wie „Industrie 4.0“, „Digitalisierung“, „Automatisierung“, oder „4. Industrielle Revolution“ prägen die aktuellen Diskurse zur Zukunft von Arbeit, Wirtschaft und Industrie. Alle diese Begriffe deuten auf große, neue Entwicklungen hin und schwanken dabei in ihrer Rezeption zwischen Techno-Utopismus und dystopischen Vorstellungen.
Dabei werden immer wieder gewisse, überlappende Themenfelder berührt. Um dem Themenkomplex näher zu kommen, gehe ich knapp auf die zwei Begriffe ein und werde folgend eine kurze Problemskizze und Kritik darstellen.
Industrie 4.0
Das Schlagwort „Industrie 4.0“ wurde zum ersten Mal im Jahr 2011 auf der Industriemesse „Hannover Messe“ verwendet, daraufhin im Rahmen der deutschen Hightech-Strategie 2020 aufgegriffen und zu einem Kooperationsprojekt zwischen Industrievertretungen sowie verschiedenen Akteuren aus Politik, Gewerkschaften etc. weiterentwickelt (Drath u. Horch, 2014). Die Kernthese des Begriffs ist, dass die technischen Möglichkeiten, die das Internet und die Verbilligung von elektronischer Hardware mit sich bringen, radikale Neuerungen in der industriellen Produktion ankündigen. Indem Maschinen mit Sensoren und Netzwerktechnologie dazu aufgerüstet werden, Informationen miteinander zu teilen, sollen sich Fabriken und ganze Fertigungsketten „von selbst“ steuern (Plattform Industrie 4.0, 2021). Dabei sollen möglichst viele – auch kleine – Unternehmen in einen großen, automatischen Markt eingebunden werden.(1) Die Problembestimmung der Initiativen um den Begriff der Industrie 4.0 liegt darin, die heimischen Wirtschaft für zukünftige Entwicklungen vorzubereiten. Dabei nehmen sowohl an der deutschen, als auch an der österreichischen Plattform neben ArbeitgeberInnenvertretung auch ArbeitnehmerInnenvertretungen und akademische Akteure teil. Interessant ist, dass die „Industrielle Revolution 4.0“ (2) quasi schon im Vorhinein ausgerufen wird, im Gegensatz zu den vorhergehenden Industriellen Revolutionen, die erst im historischen Rückblick als solche benannt wurden. (Drath u. Horch, 2014)
Automatisierung
Der Begriff der Automatisierung ist eher im englischsprachigen Diskurs verbreitet und nicht völlig deckungsgleich mit dem der „Industrie 4.0“. Breit gesprochen bezeichnet Automatisierung das maschinelle Ersetzen menschlicher Arbeitskraft. Ihr Ursprung liegt damit eigentlich schon bei der ersten Entwicklung von Werkzeugen. Die (erste) Industrielle Revolution ab dem späten 18. Jahrhundert kann aber als jener Zeitpunkt bestimmt werden, zu dem sich die Automatisierung rasant beschleunigte. Erst durch diese Beschleunigung übte der technische Fortschritt erstmals als selbstständiges Phänomen seine Wirkung auf den Alltag der breiten Bevölkerung aus. Heutige Auswirkungen von Automatisierung haben demnach eine, wenn auch recht kurze, Geschichte hinter sich. Mit der Verbreitung von Informationstechnologie tritt als neues Phänomen die Möglich- keit hervor, intellektuelle Arbeit maschinell zu verrichten. So kann auch die in der „Industrie 4.0“ beschriebene Automatisierung von Logistik und der Steuerung von Maschinen als der Ersatz menschlicher, intellektueller Arbeit durch maschinelle „Intelligenz“ verstanden werden. Da der Begriff grundsätzlich das Ersetzen menschlicher durch maschinelle Arbeit beschreibt, konzentriert sich auch die Literatur dazu häufig auf Fragen der Arbeit. Im Fokus steht dabei häufig die Frage, ob den Arbeitsplätzen, die durch Maschinen ersetzt werden, neue, bessere Arbeitsplätze folgen oder nicht. In den diesbezüglichen Studien wurde eine Reihe von verschiedenen quantiatitiven Verfahren angewendet, die aber bisher keine eindeutigen Ergebnisse hervorbrachten. (Davis u. Deole, 2017)
Kritik und Ausblick
Eine der Gefahren des in beiden Diskursen manchmal durchscheinenden Techno-Utopismus ist es, dass Entwicklungen in Technik und Wirtschaft als unabwendbar, und ihre Kritiker*innen als rückwärtsgewandt konstruiert werden. Gerade in der englischsprachigen Literatur wird immer wieder auf die Figur der „Luddites“, der „Maschinenstürmer“ zurückgegriffen, um Sorgen in der Bevölkerung von der Hand zu weisen. Schlussendlich aber bauen und programmieren sich die Maschinen (noch) nicht von selbst, und gerade in Betracht der Klimakrise will voreilender Entwicklungsdrang gut bedacht sein. Bedauernswerterweise wird dabei auch kaum betrachtet, wie sich Automatisierungsprozesse auf Frauen, Personen im globalen Süden, und marginalisierte Gruppen auswirken. Gerade am Beispiel von Amazon, einem der zweifellos am weitesten automatisierten Unternehmen, zeigt sich, dass diese Gruppen besonders von Ausbeutung im Rahmen von Effizienzbestrebungen betroffen sind. (3) Wie zu Beginn angedeutet scheinen sich die Diskurse demselben Thema von unterschiedlichen Richtungen zu nähern. Unter dem Eindruck von rasanten technologischen Entwicklungen wird klar, dass Arbeit und Produktion sich, wenn bloß durch reinen Konkurrenzdruck, verändern. Die Frage ist, wie diese Entwicklungen so gesteuert werden können, dass die breite Bevölkerung tatsächlich davon profitiert. Technologie befindet sich häufig in einem Spannungsverhältnis zu Demokratie, sie kann Macht aber sowohl zentralisieren als auch demokratisieren. Die zentrale Frage sollte also sein, wie echte Teilhabe aller Betroffenen stattfinden sichergestellt werden kann. Um den Technikhistoriker Melvin Kranzberg zu zitieren: „Technology is neither good nor bad; nor is it neutral“ (Kranzberg, 1986)
(1) Indem etwa eine „smarte“ Joghurtfabrik bei einem kleinen Unternehmen Chiliflocken bestellt, die dann in ihren Joghurt-Fertigungsprozess miteinfließen. (Rauner, 2016)
(2) Die erste Industrielle Revolution folgte der Erfindung der Dampfmaschine, die zweite der tayloristischen Arbeitsteilung und dem Förderband, und die dritte, auch als ”Digitale Revolution” bekannt, der Erfindung des Computers. (Drath u. Horch, 2014)
(3) siehe z.B. The Guardian, 2019
Literatur
[Davis u. Deole 2017] Davis, Lewis ; Deole, Sumit S.: Immigration and the Rise of Far-right Parties in Europe. In: DICE Report 15 (2017), Nr. 4, S. p.10–15
[Drath u. Horch 2014] Drath, Rainer ; Horch, Alexander: Industrie 4.0: Hit or Hype? In: IEEE Industrial Electronics Magazine (2014), S. 56–58. http://dx.doi.org/10. 1109/MIE.2014.2312079. – DOI 10.1109/MIE.2014.2312079
[Kranzberg 1986] Kranzberg, Melvin: Technology and History: ”Kranzberg’s Laws”. In: Technology and Culture 27 (1986), Nr. 3, S. 544–560. http://dx.doi.org/10. 2307/3105385. – DOI 10.2307/3105385
[Plattform Industrie 4.0 2021] Plattform Industrie 4.0: Was ist Industrie 4.0? https://www.plattform-i40.de/PI40/Navigation/DE/Industrie40/ WasIndustrie40/was-ist-industrie-40.html. Version:2021 – abgerufen am 9.2.2021
[Rauner 2016] Rauner, Max: Wenn ich mit euch fertig bin, seid ihr ein Joghurt. In: Zeit Wissen 1 (2016). https://www.zeit.de/zeit-wissen/2016/01/ industrie-4-0-kuenstliche-intelligenz-maschinen – abgerufen online am 8.2.2021
[Sainato 2019] Sainato, Michael: ’We are not robots’: Amazon warehouse employees push to unionize. https://www.theguardian.com/technology/2019/jan/01/ amazon-fulfillment-center-warehouse-employees-union-new-york-minnesota. Version:2019 – abgerufen am 9.2.2021 von The Guardian, Onlineversion
Vielen Dank, dass Sie sich die Mühe gemacht haben, diesen Artikel zur Automatisierung mit uns zu teilen. Ich denke, ich kann mit bestimmten Dingen einverstanden sein. Ich werde sie noch einmal überdenken.