Was ist Arbeit 4.0
Der Begriff „Arbeit 4.0“ wurde vom deutschen Arbeitsministerium im Rahmen des „Dialogprozess Arbeiten 4.0“ entwickelt. Analog zur „Industrie 4.0“ soll „Arbeit 4.0“ eine Diskussion zu neuen Entwicklungen im Bereich der Arbeit anstoßen (BMAS, 2019). Der Begriff beschreibt nicht eine spezifische Veränderung, sondern fasst disparate Trends in sich zusammen. So schreibt Andrea Nahles, damalige Arbeitsministerin: „Arbeiten 4.0 ist […] ein Kürzel für die Veränderungen in der gesamten Arbeitswelt und ihre Folgen für die Gesellschaft. Arbeiten 4.0 beschreibt dabei nicht die heutige Normalität, sondern Perspektiven, Szenarien und Gestaltungschancen für die Zukunft – für eine Arbeit, die den Menschen nützt und unsere Wirtschaft voranbringt“ (BMAS, 2017, 5). Eine Begriffsannäherung aus der mittlerweile entstandenen wissenschaftlichen Literatur beschreibt Arbeit 4.0 mit den „Schlagworten Digitalisierung, Flexibilisierung, Entgrenzung, Mitbestimmung und Relevanz“ (Poethke u. a., 2019, 130). Es stellt sich jedoch die Frage, ob technologische Entwicklungen, Mitbestimmung und neoliberale Policies wie „Flexibilisierung“ ohne weiteres gemeinsam in einen Begriff gefasst werden können. Nachdem noch keine einheitliche Formulierung von „Arbeit 4.0“ zur Verfügung steht, werde ich mich in Folge hauptsächlich an den Ausführungen im „Weißbuch Arbeiten 4.0“, das 2016 vom deutschen Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) herausgegeben wurde, orientieren.
Globale Perspektive
Wie auch der Diskurs um die Industrie 4.0 wird der Diskurs um Arbeit 4.0 häufig aus Perspektive der nationalen Ebene geführt. Das Kapitel „Globalisierung“ im Text des BMAS tangiert die Thematik globaler Zusammenhänge zwar, und merkt an, dass sich „in Entwicklungsländern, die sich weniger erfolgreich in globale Produktionsprozesse integrieren konnten, […] die wirtschaftliche Lage für Teile der Bevölkerung […] verschlechtert [hat]“ (BMAS, 2017, 28), geht dann aber nicht weiter darauf ein. Was dabei mitunter verloren geht, ist, dass es – drastisch gesprochen – hinter jedem „kreative[n] Wissens arbeiter, der am See sitzt, den Laptop auf dem Schoß“ (BMAS, 2017, 4) Arbeiter*innen in den Kobaltminen der DR Kongo (1) und in den Fabriken in Shenzhen (2) stehen, die diese Art der Arbeit überhaupt erst möglich machen. Wenn wir über die Gestaltung der „Zukunft der Arbeit“ sprechen, darf damit nicht nur die Zukunft der Arbeit einer mächtigen Minderheit im globalen Norden gemeint sein.
Care-Perspektive
Zudem kann ein Großteil des Care-Bereichs bedingt bis gar nicht effizienter gemacht werden. Wie es die feministische Ökonomin Mascha Madörin treffend formuliert: „Man kann zwar schneller Autos produzieren, aber nicht schneller Kinder aufziehen“ (Madörin, 2009, 93). Diese Tatsache scheint auch im Weißbuch des deutschen Arbeitsministerums auf, der Schwerpunkt liegt dabei allerdings eher auf der Frage, wie Frauen die Care-Arbeit abgenommen werden kann, damit sie auf dem Erwerbsarbeitsmarkt tätig werden können, als auf den Arbeitsbedingungen selbst. Auf die prekäre Situation der (großteils migrantischen) Frauen, die die Care-Arbeit deutscher Frauen übernehmen, wird kaum eingegangen. (BMAS, 2017, 132)
Fazit / die Zukunft der Arbeit
Abschließend ist zu sagen, dass es natürlich nicht verwunderlich ist, dass ein Begriff, der maßgeblich von einem deutschen Ministerium formuliert wurde, den Fokus auf nationale Probleme legt. Damit stellt sich allerdings die Frage, ob ein solcher Begriff tatsächlich aus einer analytischen Perspektive nützlich ist. Natürlich ist Arbeit ständigen Veränderungen unterworfen, aber indem wir ein „Upgrade“ auf Version 4.0 postulieren, laufen wir womöglich Gefahr, alte Probleme und (globale) Machtbeziehungen unter dem Eindruck neuer technischer Entwicklungen zu vergessen. Technische Innovationen passieren nicht aus dem Vakuum, sondern sind immer auch ein Abbild dessen, welche Interessen in einer Gesellschaft wirksam sind. Wenn also die Auswirkungen neuer Technologien untersucht werden sollen, muss erst hinterfragt werden, in wessen Interesse und wozu sie entwickelt werden. Anstatt sich also einheitliche Entwicklung vorzustellen, die von äußeren Faktoren angestoßen wird, wäre es m.E. sinnvoller, die verschiedenen Phänomene für sich und in ihrem historischen, ökonomischen, und sozialen Kontext zu untersuchen.
(1) https://www.raconteur.net/corporate-social-responsibility/ cobalt-mining-human-rights/
(2) https://www.wired.com/2015/04/inside-chinese-factories/
Literatur
[BMAS 2017] BMAS (Hrsg.): Weißbuch Arbeiten 4.0. Berlin, 2017
[BMAS 2019] BMAS: Der Dialogprozess Arbeiten 4.0. https://www.bmas.de/DE/Arbeit/Digitalisierung-der-Arbeitswelt/Arbeiten-vier-null/arbeiten-4-0.html. Version: 2019 – abgerufen am 25.2.2021
[Madörin 2009] Madörin, Mascha: Im Gesundheitswesen werden keine Autos montiert – eine Rahmenerzählung. Version: 2009. https://www.frauenarchivostschweiz. ch/files/olympe/olympe_30.pdf. In: Care-Ökonomie. Zürich, 2009 (Olympe 30), 93-95
[Poethke u.a. 2019] Poethke, Ute ; Klasmeier, Kai N. ; Diebig, Mathias ; Hartmann, Nele; Rowold, Jens: Entwicklung eines Fragebogens zur Erfassung zentraler Merkmale der Arbeit 4.0. In: Zeitschrift für Arbeits- und Organisationspsychologie A&O 63 (2019), Nr. 3, S. 129–151. http://dx.doi.org/10.1026/0932-4089/a000298. – DOI 10.1026/0932–4089/a000298